Wem gehört die Wikipedia?

In der aktuellen Diskussion um den neuen Medienbetrachter in der deutschsprachigen Wikipedia kam es zu einer Machtprobe zwischen von Autoren gewählten Administratoren und der Betreiberin der Wissensplattform, der Wikimedia Foundation (WMF). Ein Meinungsbild hatte ergeben, dass sich 190 von 262 teilnehmenden Nutzern für eine standardmässige Abschaltung der neuen Funktion aussprechen. Nach Feststellung dieses Ergebnisses meldete sich Fabrice Florin, Produktmanager bei der WMF zu Wort und verkündete, dass diesem Wunsch nicht nachgekommen werde. Seitdem versteift sich die Diskussion darauf, dass das Ergebnis des Meinungsbildes umzusetzen sei. Ein neues Meinungsbild, dass den Mitarbeitern der WMF die übergeordneten Rechte entziehen soll, findet innerhalb kürzester Zeit viele Unterstützer.

Kern des aktuellen Konflikts zwischen einigen Autoren in der deutschsprachigen Wikipedia und der WMF ist aber nicht die Frage nach der Qualität oder der Funktion des Medienbetrachters. Vielmehr geht es darum, wer in der Wikipedia das letzte Wort hat. Der Konflikt ist im Bereich der Open Source-Bewegung nichts Neues. Regelmäßig kommt es zu Forks oder Projektausstiegen, weil sich Mitwirkende uneinig sind. Prominentes Beispiel ist die Aufspaltung der freien Bürosoftware in OpenOffice und LibreOffice. Auch hier gab es Uneinigkeit zwischen ehrenamtlich Mitarbeitenden und der Firma Oracle die die Namensrechte besaß. In der Geschichte der Wikipedia gab es bereits mehrfach den Schritt zum Fork, so beispielsweise in der spanischen oder auch der deutschsprachigen Wikipedia, wie z. B. das Projekt PlusPedia.

Open Source bzw. Open Content (in der Wikipedia) funktioniert nach einem einfachen Prinzip. Beteiligte lizensieren das Ergebnis ihrer eingebrachten Arbeitskraft in einer Form, die Verbreitung, Vervielfältigung, Nutzung und Weiterverarbeitung ermöglicht. Dabei gibt es verschiedene Philosophien, doch das Grundprinzip bleibt immer gleich. Bezogen auf die Wikipedia verschenken die Urheber von Texten das Recht diese beliebig zu vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen, sowie gestatten die Bearbeitung der Inhalte. Dezidiert liest sich das in den Nutzungsbedingungen so:

Wobei Ihnen [beim Beitragen zum Projekt bzw. der Bearbeitung von Inhalten] Folgendes bewusst ist: Sie stellen Ihre Beiträge unter einer freien Lizenz ein – Sie müssen Beiträge und Bearbeitungen, die Sie auf einer unserer Seiten oder in einem unserer Projekte einbringen, grundsätzlich einer freien und offenen Lizenz unterstellen (außer Ihr Beitrag ist gemeinfrei).

Anders liese sich ein Projekt wie die Wikipedia auch gar nicht betreiben. Die Betreiberin, hier die Wikimedia Foundation, würde mit der Bereitstellung der Artikel permanent Urheberrechtsverletzungen begehen, weil sie unmöglich die Rechte bei jedem einzelnen Nutzer einholen kann. Ähnlich funktionieren übrigens auch dezidiert soziale Netzwerke. In diesem Punkt sind sich die Nutzungsbedingungen von Facebook und der Wikipedia gar nicht so fremd.

Wem gehört also die Wikipedia um auf die Frage dieses Artikels zu kommen? Ideell und ein wenig philosophisch betrachtet der Menschheit, die gemeinsam Wissen sammelt und rezipiert. Die Inhalte sind frei. Der Name und die (meiste) Infrastruktur – dazu gehört neben den Servern etwa auch die Rechtsvertretung – in der sie betrieben wird der Wikimedia Foundation (WMF). Solange sich Autoren unter diesem Namen und auf diesen Servern tummeln und dort gemeinsam Wissen sammeln, geschieht das zu den Regeln der WMF.

Um das zu pointieren: In den Anfangsjahren der Wikipedia wurde kontrovers über die Finanzierung der Infrastruktur durch Werbeanzeigen diskutiert. Auch wenn diese Frage zur Zeit vom Tisch ist und die Strukturen der Foundation dies mittlerweile erschweren würden. Es ist nicht vollständig undenkbar das die WMF Werbeanzeigen zur Finanzierung der Infrastruktur einführt, insbesondere wenn das Fundraising irgendwann nicht mehr so erfolgreich verläuft wie derzeit. Die Autoren, die die Regeln der Mitarbeit in der Wikipedia mit ihren Beiträgen dort akzeptieren, müssten sich damit abfinden.

Doch der Fork – wenn auch bei der Stellung der Wikipedia ein äußerst herausforderndes Unterfangen – wäre nicht weit und so ist es letztendlich wie in jedem größeren Open-Source-Projekt: Es gibt einen ständigen Aushandlungsprozess zwischen den Betreibern und denen, die einen Beitrag leisten. Diesem wird sich auch die aktuelle Debatte um Medienbetrachter und „superprotect“-Rechte stellen müssen.